Überstunden & Mehrarbeit

Fälle aus der Praxis

Können Arbeitnehmer Zahlungen verlangen?

Fall 1

Ein angestellter Rechtsanwalt war seit 2006 in einer Berliner Kanzlei beschäftigt. Er bezog zunächst ein monatliches Bruttogehalt von knapp 6.000 Euro, später von rund 6.700 Euro. Als Wochenarbeitszeit wurden 40 Stunden vereinbart, die tatsächliche Arbeitszeit des Anwalts wurde auf einem entsprechenden Formular festgehalten. In seinem Arbeitsvertrag war festgelegt, dass alle eventuell anfallende Mehrarbeit durch die Bruttovergütung abgegolten sei. Die Klausel im Arbeitsvertrag lautete: „Durch die zu zahlende Bruttovergütung ist eine etwaig notwendig werdende Über- oder Mehrarbeit abgegolten.“

Im Juli 2009 verließ der Anwalt die Kanzlei und forderte daraufhin eine Abgeltung in Höhe von etwa 44.000 Euro für nach seinen Angaben rund 900 geleistete Überstunden. Die Rechtsanwälte der Kanzlei lehnten ab, es kam zum Rechtsstreit.

Überstunden & Mehrarbeit im Arbeitsrecht | CROSET

Rechtsprechung zu Überstunden & Mehrarbeit

Das Arbeitsgericht Berlin hatte die Klage des Rechtsanwalts 2009 abgewiesen, da es die Klausel in diesem Fall für angemessen hielt. Die entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag, wonach eventuell anfallende Mehrarbeit durch die Bruttovergütung abgegolten sei, stelle aufgrund der hohen Grundvergütung des Anwalts keinen entscheidenden Nachteil dar. Er habe sich seine Arbeit weitgehend selbstständig einteilen können. Zudem seien die Überstunden zum Teil nicht hinreichend dokumentiert worden.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Teilurteil vom 03.06.2010 – 15 Sa 166/10) kam zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung. Es verurteilte die Kanzlei zur Zahlung von 30.000 Euro. Die entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag sei als Allgemeine Geschäftsbedingung zu sehen. Sie sei für den Arbeitnehmer nicht transparent genug und daher unwirksam. Das Gericht bemängelte überdies, dass das Bruttogehalt des Anwalts nicht in Grundvergütung und Pauschalvergütung für Überstunden aufgeteilt war. Das Landesarbeitsgericht ließ jedoch aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht zu, das die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg nun aufhob.

Die jeweils entgegengesetzten Urteile der drei beteiligten Gerichte zeigen, wie kontrovers die Thematik ist. Überstunden und die hierfür geschuldete (zusätzliche) Vergütung sind häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen vor dem Arbeitsgericht. Macht ein Arbeitnehmer Vergütungsansprüche für Überstunden geltend, so muss er nicht nur genau darlegen, wann er diese Überstunden geleistet hat, sondern auch, dass der Arbeitgeber diese angeordnet oder geduldet hat. Bereits die Darlegung, wann die Überstunden geleistet wurden, ist häufig schwierig. Denn eine erfolgreiche Geltendmachung setzt hier faktisch voraus, dass der Arbeitnehmer Tag für Tag Buch geführt hat. Auch die Anordnung bzw. Duldung im Einzelfall ist stets schwer nachzuweisen.

Überstunden-Abgeltungsklausel im Arbeitsvertrag wirksam?

Erklärung zu diesem Fall

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer sog. Time-Sheets geführt. Diese dienen in Anwaltskanzleien dazu, die vom Anwalt geleistete Zeit gegenüber dem Auftraggeber (Mandanten) abzurechnen. Daher konnte der Arbeitnehmer hier seine Ansprüche zunächst ausreichend darlegen. Streitentscheidend war daher die im Arbeitsvertrag enthaltene Überstundenklausel. Derartige Klauseln, nach denen sämtliche geleisteten Überstunden als mit der Vergütung abgegolten anzusehen sein sollten, wurden von Rechtsprechung und Literatur regelmäßig als unwirksam angesehen. Denn diese führen dazu, dass der Arbeitnehmer nicht weiß, wie viele Stunden er monatlich leisten muss.

Als wirksam angesehen wurden lediglich Klauseln, nach denen eine bestimmte Anzahl von Überstunden als mit dem Gehalt als abgegolten angesehen wurde, wobei auch hier bestimmte mengenmäßige Begrenzungen galten. Die hier aufgehobene Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg spiegelte die bisherige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur. Die abweichende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes stellt daher eine Trendwende in der Rechtsprechung dar.

Tipps für Arbeitnehmer

Arbeitnehmer scheuen sich im laufenden Arbeitsverhältnis häufig, ihren Anspruch auf Vergütung von Überstunden geltend zu machen. Denn sie fürchten, dass im Falle der Geltendmachung gegenüber dem Arbeitgeber ihr Arbeitsverhältnis in Gefahr sein könnte. Regelmäßig werden Überstunden erst geltend gemacht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.

Um zu diesem Zeitpunkt die Überstunden erfolgreich geltend zu machen, sollten Arbeitnehmer jedoch zuvor genau über die geleisteten Überstunden Buch führen. Hierzu empfiehlt es sich, frühzeitig den Rat eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht zu suchen.

Dieser kann klare Hinweise dazu geben, welche Informationen in die Dokumentation der Überstunden aufzunehmen sind. Verweigert der Arbeitgeber die Vergütung von angefallenen Überstunden, so stellt dies einen Rechtsverstoß dar. Eine eventuell bestehende Rechtsschutzversicherung ist daher zur Übernahme der Kosten für die rechtsanwaltliche Tätigkeit verpflichtet – auch für die zuvor beschriebene Beratung!

Was ist bei Klauseln zu tun?
Sollte der Arbeitsvertrag eine Überstundenklausel enthalten, sollten Arbeitnehmer diese nicht einfach ungeprüft hinnehmen. Es empfiehlt sich, von einem Spezialisten prüfen zu lassen, ob die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB standhält. Manche Arbeitsverträge enthalten eine sog. Ausschlussklausel, d.h. eine Klausel nach der Ansprüche in gewissen Fristen geltend zu machen bzw. einzuklagen sind.

Sollte der Arbeitsvertrag eine Ausschlussklausel enthalten, empfiehlt es sich, das weitere Vorgehen mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht abzustimmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Ansprüche auf Überstundenvergütung wegen Fristablaufs nicht länger wirksam geltend gemacht werden können! Gerade in Kündigungsschutzverfahren sind Vergütungsansprüche aus geleisteten Überstunden mitentscheidend für den prozessualen Erfolg!

Tipps für Arbeitgeber

Arbeitgeber sollten in einen von ihnen standardmäßig verwendeten Arbeitsvertrag stets eine wirksame Überstundenklausel aufnehmen. Die in der vorstehenden Entscheidung vom Arbeitgeber verwendete Klausel ist auch weiterhin als in der Regel unwirksam anzusehen – Arbeitgeber sollten daher die Beratung eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht einholen und eine Klausel verwenden, welche den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB gerecht wird.

Macht der Arbeitnehmer Ansprüche auf Vergütung von Überstunden geltend, so können diese Ansprüche häufig durch geschickten prozessualen Vortrag abgewehrt werden. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Darlegungs- und Beweislast sind hoch, zielgerichteter prozessualer Vortrag vermeidet hohe Kosten.

Des Weiteren sollte der Arbeitsvertrag in jedem Fall eine Ausschlussklausel enthalten, nach der Ansprüche in gewissen Fristen geltend zu machen bzw. einzuklagen sind. Hierdurch kann vermieden werden, dass die Arbeitnehmer Ansprüche auf Vergütung von Überstunden, welche zwei oder drei Jahre zurückliegen, geltend machen.

Croset - Fachanwälte für Arbeitsrecht in Berlin

Überstunden/Mehrarbeit nicht exakt geregelt - Arbeitgeber muss bezahlen

Fall 2

Im Arbeitsvertrag kann zwar geregelt werden, dass der Arbeitgeber Überstunden nicht gesondert bezahlen muss.

Wenn die Formulierung jedoch nicht exakt den Vorgaben von Gesetz und Arbeitsgerichten entspricht, hat der Arbeitnehmer in den meisten Fällen trotzdem Anspruch auf eine Überstundenvergütung.

Die Fachanwälte für Arbeitsrecht der Rechtsanwaltskanzlei Croset erklären, warum die Überstundenregelung vieler Arbeitsverträge für Arbeitgeber zur Kostenfalle werden kann.

Rechtsprechung in diesem Fall

Im folgenden Beispielfall klagte ein Lagerleiter beim Arbeitsgericht gegen seinen Arbeitgeber, eine Speditionsfirma, denn diese bezahlte die Überstunden des Arbeitnehmers nicht extra. Der Arbeitsvertrag des Lagerleiters sah einen Bruttolohn von 1.800 Euro gegen eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden vor.

Die Regelung zur Überstundenvergütung lautete wörtlich:

4.3.
Der Arbeitnehmer(in) ist bei betrieblicher Erfordernis auch zur Mehrarbeit sowie Sonntags- und Feiertagsarbeit verpflichtet.

4.4. 
Der Arbeitnehmer erhält für die Über- und Mehrarbeit keine weitergehende Vergütung.

Insgesamt über 980 Überstunden hatte der Arbeitnehmer nach zwei Jahren geleistet. Dann endete das Arbeitsverhältnis. Der Rechtsanwalt des Lagerleiters klagte auf nachträgliche Überstundenvergütung. Und er bekam recht: Das Bundesarbeitsgericht sah in der zitierten Überstundenregelung eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers (BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 765/10).

Der Hintergrund dieser Entscheidung: Ein sogenannter formularmäßiger Arbeitsvertrag (ein Vertragstext, der gleichlautend für viele Arbeitsverhältnisse benutzt wird) muss den Vorschriften entsprechen, die das Bürgerliche Gesetzbuch in Bezug auf Allgemeine Geschäftsbedingungen macht. Einer dieser Paragraphen schreibt vor, dass jede AGB-Klausel klar und verständlich sein muss (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Das war für die Arbeitsrichter bei der oben genannten Regelung jedoch nicht der Fall. Sie beanstandeten an der zitierten Überstundenregelung, dass der Arbeitnehmer nicht wissen konnte, zu wie vielen unbezahlten Überstunden er sich mit diesem Vertrag genau verpflichtete.

Mit anderen Worten: Der Arbeitsvertrag muss die konkrete Zahl von Überstunden ohne Zusatzvergütung nennen, die schon durch das normale Gehalt als bezahlt gelten. Nur dann gilt die Überstundenregelung als klar und verständlich im Sinne des BGB.

Wenn die Überstundenregelung aber erst einmal unwirksam ist, dann existiert zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Regelung zum Thema Überstundenvergütung mehr. Und dann greifen die Vorschriften des BGB (§ 612 BGB), die dem Arbeitnehmer eine „übliche“ Vergütung zusprechen, soweit er sie normalerweise für seine Arbeit erwarten darf.

Davon, dass der Arbeitnehmer unter diesen Umständen eine Überstundenvergütung erwarten kann, gehen die Arbeitsgerichte zumindest dann aus, wenn nicht schon der vereinbarte normale Lohn außergewöhnlich hoch ist.

Wirksame Überstunden-/Mehrarbeit-Regelung

Eine wirksame Überstundenregelung sieht beispielsweise so aus: „Mit der monatlichen Vergütung sind bis zu 17 Überstunden monatlich bereits abgegolten, sofern der Mindestlohn nicht unterschritten wird. Für darüber hinausgehende Überstunden wird binnen 12 Wochen Freizeitausgleich gewährt.“

Hier kann der Arbeitnehmer klar absehen, wie viele Überstunden mit dem vereinbarten Gehalt bereits abgegolten sind.

Dass die Klausel genau siebzehn Überstunden im Monat ohne zusätzliche Vergütung festlegt, beruht ebenfalls auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Es hat bestimmt, dass höchstens zehn Prozent der regulären Arbeitsleistung als inklusives Überstundenkontingent vereinbart werden können, das nicht extra bezahlt wird.

Wird eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche und damit 172 Stunden pro Monat festgelegt, kann der Arbeitsvertrag bis zu 17 Inklusiv-Überstunden monatlich vorsehen, die nicht gesondert vergütet werden müssen.

Arbeitgeber wünschen häufig eine Regelung, die für unbegrenzt viele Überstunden eine Überstundenvergütung ausschließt. Das ist – zumindest bei einer üblichen Lohn- oder Gehaltshöhe – jedoch nicht möglich, zumindest nicht in wirksamer, gerichtsfester Form.

Tipps für Arbeitnehmer

Sind sie wirklich zu unbezahlten Überstunden verpflichtet? Wenn Ihr Arbeitsvertrag dazu nichts sagt, ist das in der Regel nicht so. Wenn Sie Überstunden geleistet haben, dann können Sie dafür normalerweise entweder Vergütung oder Freizeitausgleich verlangen.

In Arbeitsverträgen gibt es häufig Klauseln, wonach alle Überstunden mit der üblichen Vergütung abgegolten sind. Solche Regelungen sind unwirksam. Der Arbeitsvertrag kann zwar bestimmen, dass eine gewisse Anzahl von Überstunden inklusiv ist, ohne gesonderte Bezahlung. Das ist aber nur begrenzt zulässig. Trotzdem haben Arbeitnehmer vor Gericht oft keinen Erfolg, wenn sie die Bezahlung von Überstunden einklagen. Das liegt meistens an Beweisproblemen. Meist ist nicht beweisbar, wie viele Überstunden wann genau geleistet wurden. Außerdem muss der Arbeitnehmer auch noch nachweisen, dass der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet oder geduldet hat.

Wenn Sie regelmäßig Überstunden leisten und befürchten, dass Ihr Arbeitgeber die Mehrarbeit nicht vergütet, dann sollten Sie einen Fachanwalt für Arbeitsrecht kontaktieren. Ein spezialisierter Anwalt kann Ihnen erklären, wie Sie Ihren späteren Anspruch sichern, indem Sie schon jetzt Belege sammeln. Eine exakte Buchführung über geleistete Überstunden und Arbeitsinhalte, Kollegen oder andere Zeugen oder auch Ausdrucke aus der Zeiterfassung sind vor Gericht Gold wert.

Tipps für Arbeitgeber

Achten Sie darauf, dass die Regelung zu Überstunden in Ihren Arbeitsverträgen korrekt formuliert wird. Wenn ein Arbeitnehmer die Bezahlung von Überstunden fordert und Ihre Ausschlussklausel sich als unwirksam herausstellt, drohen hohe Nachzahlungen. Die Klausel muss exakt den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts entsprechen, hier gibt es nur wenig Gestaltungsspielraum.

Sie können höchstens zehn Prozent der vereinbarten Arbeitszeit als inklusives Überstundenkontingent vereinbaren. Wenn der Arbeitsvertrag allerdings solide formuliert ist, haben Arbeitgeber bei Klagen des Arbeitnehmers auf die Vergütung von Überstunden meistens gute Chancen. Als Fachanwälte für Arbeitsrecht machen wir regelmäßig die Erfahrung, dass Arbeitgeber mit einer guten Vertragsbasis durch einen fachkundigen gerichtlichen Vortrag Zahlungsklagen weitgehend abwehren können. Alternativ können und sollten Sie als Unternehmer auch regeln, was mit Überstunden geschehen soll: Auszahlung oder Freizeitausgleich?

Bitte beachten Sie, dass unsere Ausführungen eine umfassende Rechtsberatung nicht ersetzen können und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wenn Sie weitere Fragen haben oder eine ausführliche Beratung wünschen, nehmen Sie einfach Kontakt zu uns auf.

Weitere interessante Begriffe:

Arbeitszeit, Wöchentliche Arbeitszeit, monatliche Arbeitszeit, Tarifvertrag, Überstundenzuschlag, Betriebsvereinbarung, Arbeitszeitgesetz, Mitarbeiter, Arbeitsstunden

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